Sind die Abschnitte über BKA, BGS und BIS des Kapitels ADL: Die Mächte (Walzer, Punks und Schwarzes Ice, S. 104 ff.) noch erträglich, vergeht dem Eingeweihten bei näherer Betrachtung des Abschnittes Polizeikräfte der Länder der Spaß an der o.g. Lektüre gleich wieder aufs Gründlichste:
Wurde einem im ersten Deutschland in den Schatten (S. 40) noch erzählt, die Polizei der Länder nehme die typischen Polizeidienste wahr und habe sich damit (von einigen wenigen Veränderungen mal abgesehen) kaum verändert, macht man plötzlich aus derselben Institution eine wüste Zusammenrottung verschiedenster Privatunternehmen.
Mir stellt sich hier automatisch folgende Frage: Könnt ihr euch irgendwann einmal auf eine allgemeingültige Version einigen oder bekommen wir im nächsten Deutschland in den Schatten wieder eine andere Variante zu hören?
Der Verdacht liegt nahe, daß man hier die Informationen des Nordamerika Quellenbuches auf die ADL ummünzen will. Passend zu dem in Walzer, Punks & Schwarzes Ice angegebenen Beispiel der Polizei von Nordrhein-Ruhr sollte man sich die Informationen zur Polizei der Stadt New York einmal näher ansehen (siehe Nordamerika Quellenbuch, S. 49 f.). Dort stehen drei unterschiedliche Unternehmen unter Vertrag: Knight Errant, Winter Systems und NYPD Inc.
Nimmt man die Informationen des ersten Deutschland in den Schatten zur Hand, werden dort ProSecuritas und Knight Errant in einer Art und Weise als Sicherheitsfirmen beschrieben, daß sich einem der Eindruck aufdrängt, sie hätten nichts mit Polizeiaufgaben im engeren Sinne zu tun, sondern existierten als private Sicherheitsfirmen. Speziell ProSecuritas wird im DidS I als Sicherheitsfirma mit besonders unauffälligem Personenschutz beschrieben.
Im Abschnitt Polizeikräfte der Länder mutieren die unauffälligen Personenschützer plötzlich zu Streifenpolizisten, die von Knight Errant unterstützt werden.
Der Abschnitt im o.g. Werk spricht in seinem Beispiel von einer Firma, die von ehemaligen Polizisten der Rhein-Ruhr Kriminalpolizei gegründet wurde. Das ist das beste Beispiel dafür, daß man hier ganz eindeutig versucht, die gleichen Verhältnisse, die im Metroplex Newark (oder New York) vorherrschen, in der ADL ins Leben zu rufen. Doch die Geschichte hinkt gewaltig.
Im dritten Quellenbuch zu Deutschland in den Schatten wird mit keinem Wort erklärt, wie es dazu kam, daß Beamte sich zu einer eigenen Firma zusammenschließen konnten bzw. mußten. Eine derart tiefgreifende Veränderung müßte sich über die Jahre hingezogen haben, da das Polizeirecht nicht nur Sache der Länder ist, sondern auch Bundesgesetze einschließt. In der abwechslungsreichen Geschichte des ersten Deutschland in den Schatten ist eine Änderung des Gesetzes zur Zulassung privater Kräfte zum Polizeidienst oder etwas derartiges jedoch mit keinem Wort erwähnt. Offensichtlich war es auch nicht vorgesehen.
Aber was soll�s, wir gehen einfach hin und dichten es hinein, ist doch alles kein Problem. Wen interessierts, die deutschen Cops sind doch sowieso so hohl, die schwimmen sogar in Milch, hm!?
Mitnichten, liebe Freunde, mitnichten. Mal ganz abgesehen davon, daß man dem Schreiber dieses Artikels sofort eine (offensichtlich weit verbreitete) Abneigung gegenüber der Landespolizei anmerkt - direkt im zweiten Satz der Ausführung taucht das Wort Unfähigkeit auf, was soll man davon schon halten - scheint er im folgenden Text darauf hinzuarbeiten, diese auch als unfähig darzustellen.
Heutztage mit einer derartigen Meinung hausieren zu gehen mag zwar "in" sein, doch sollte man Abstand davon nehmen, sie in einem Werk zu veröffentlichen, daß zusammen mit zwei anderen die Verhältnisse im Deutschland des Jahres 2057 darlegen soll. Hat man sich gegenüber der Polizei im ersten DidS noch zurückgehalten und jedem seine eigene Interpretation der Dinge überlassen, läuft jetzt plötzlich alles anders herum. Wie kann das sein?
Doch kommen wir für einen Moment mal zurück zu den ach so beliebten "amerikanischen Verhältnissen": Die Entwicklung der amerikanischen Polizei hin zur Sicherheitsfirma ist heute schon abzusehen, weil dort ganz andere Verhältnisse herrschen. Die Polizisten haben zum einen keinen Beamtenstatus und sind damit viel weniger eingebunden, was sich vor allem bei Kündigungen als sehr nachteilig erweist. Darüber hinaus hat der Autor des Manhatten-Kapitels erklärt, wie es zu diesen Zuständen kam. Am Beispiel Manhattens kann man die Entwicklung, die zu einem solchen Zustand geführt haben könnte, vielleicht am besten erklären:
Nach dem großen Erdbeben von 2005 übernahmen die Konzerne mit dem Wiederaufbau der Stadt New York die Regie und ebneten den Weg für verschiedene Sicherheitskonzerne, die in den UCAS ohnehin einen höheren Stellenwert haben als in der ADL (wenn man dem ersten Deutschland in den Schatten Glauben schenken darf).
Wie wir sehen, haben wir eine eindeutige Entwicklung, die zu denen im Nordamerika Quellenbuch dokumentierten Zuständen geführt hat. Finden wir sowas in Walzer, Punks und Schwarzes Ice?
NATÜRLICH NICHT!
Was uns zu der Frage führt: Warum zum Teufel sollte eine Länderregierung ein Polizeisystem, daß aus Sicht der Politiker hervorragend funktioniert (und das tut es aus Sicht der Politiker immer) von heute auf morgen ohne ersichtliche Notwendigkeit so ändern, daß plötzlich Beamte gezwungen werden, eine eigene Firma aufzumachen.
Die äußeren Bedingungen, die in den UCAS dazu geführt haben, sind in der ADL einfach nicht gegeben. Warum sollte eine Landesregierung zulassen wollen, daß Konzerninteressen die Polizeiarbeit beeinflußen? Und den Politikern, die diese Entscheidung mitgetragen haben, dürften bewußt gewesen sein, daß sie automatisch Konzerninteressen mit in die Polizeiarbeit aufnehmen, wenn wenn sie zulassen, daß eine Sicherheitsfirma, die wiederum einem größeren Konzern gehört, den Dienst übernimmt. Das hat weniger mit "dem Vertrauen der Wähler" als vielmehr mit Macht zu tun - schlicht und ergreifend Macht.
Gesetzt den Fall, die Landespolizei müßte einen Beschluß gegen einen Konzern (keinen Mega-Kon) durchsetzen, zu dem ProSecuritas gehört? Die ProSecuritas Kräfte würden sich weigern, die Aktion durchzuziehen oder sie direkt zu Scheitern verurteilen. Man würde ProSecuritas u.U. den Auftrag entziehen, aber erst nach Ablauf des alten. Zudem sind Beamte kontrollierbarer als Privatfirmen. Man erinnere sich einmal an das Debakel mit den "Schwarzen Sherrifs".
Den Politikern wäre die Macht entzogen, diesen Konzern zur Rechenschaft zu ziehen und das würden diese niemals nicht zulassen, selbst wenn ihnen der Himmel auf den Kopf fallen würde.
Der Fall anders herum betrachtet funktioniert ebenfalls nicht. Der Vermerk, daß staatliche Beamte die Sicherheitskonzerne im Staatsdienst überwachen, ist völlig unsinnig. Welcher Konzern, der u.U. sogar zu einem Megakonzern gehört, würde sich von einem Staatsbeamten ins Geschäft reden lassen? Auch unklar ist die Frage der Bezahlung: Nach Fällen oder pauschal. Beides ist völliger Schwachsinn! Wenn ein Konzern wie im Falle Lone Stars die Polizeigewalt übernimmt, wird er nach dem Tarif bezahlt, der im vorher vereinbarten Vertrag festgelegt wurde und NICHTS ANDERES.
Wenn man sich die Geschichte der ADL ansieht, wie sie im ersten Band zu Deutschland in den Schatten dokumentiert wurde, findet man keine Naturkatastrophe und kein anderes Ereignis, daß eine solche Entwicklung zur Folge hatte und / oder zur Folge gehabt haben könnte.
Dann wäre da noch eine andere Frage : Glaubt ihr eigentlich wirklich, die Länderpolizei würde es zulassen, daß andere (vor allem Sicherheitsfirmen) ihre Arbeit übernehmen? Soviele Gesetzesänderungen kann man gar nicht vornehmen, als dann plötzlich anstünden. Dazu kommt noch der Aspekt, daß die Konzerne es immer abgelehnt haben, sich zu stark in wenig gewinnbringende Dinge wie die Polizeiarbeit einzumischen. Man kann nun einmal mit Polizeiarbeit keinen Gewinn machen - das ist das gleiche wie mit einer Armee (okay, es sei denn, man vermietet sie).
Können die privaten Sicherheitskonzerne überhaupt eine Aufklärung von Gewaltverbrechen gewähreisten? Es besteht nämlich ein gewaltiger Unterschied darin, ein Lagerhaus zu bewachen oder einen Mord aufzuklären. Der einzige Konzern, von dem Kenner des SR-Universums genau wissen, daß er es offenbar kann, ist Lone Star (und nicht umsonst ein eigenes Quellenbuch hat). Aber Lone Star existiert nicht in der ADL.
Wie man sieht, ist die Sache doch nicht so einfach, wie sie aussieht, oder? Aber keine Sorge:
Es ist nie so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht. Hätte man für den o.g. Abschnitt mehr als den ersten Blick aufgebracht, wäre das hier alles überflüssig. Und ihr könnt mir glauben, daß es keinen Spaß macht, sowas zu lesen, wenn man sich im betreffenden Fachgebiet und im Shadowrun Universum etwas auskennt.
Man kann jetzt (wie immer bei solchen Anlässen) mit der Begründung kommen, Shadowrun sei nur ein Rollenspiel und man solle das Ganze nicht so eng sehen.
Das mag ja richtig sein, aber die Vorzüge dieses Rollenspiels sind u.a. seine Realitätsnähe und sein Hang zur Geschichte. Man wird in den amerikanischen Quellenbüchern nichts finden, daß sich nicht auf eine geschichtliche Begebenheit zurückführen läßt. Realitätsnähe deshalb, weil sich vor allem die amerikanischen Autoren an dem zu orientieren scheinen, was bereits in diesem Jahrhundert vorhanden ist.
Würden sie das nicht tun, gäbe es die in Luc Bessons genialem Film "Das Fünfte Element" vorgestellte Zorg Zorg Z 1 bereits für Shadowrun (wer jetzt nicht weiß was gemeint ist, hat was verpaßt).
Würde man einfach nur mit "das-ist-doch-bloß-�n-Rollenspiel" argumentieren, könnte man als Shadowrun-Autor gute Fee technisch das Zauberstäbchen schwingen und KAZARP - Düsseldorf-Erkrath versinkt in einem grün-leuchtenden See radioaktiven Abfalls. So einfach geht das.
Natürlich wäre diese Vorstellung für die einen mehr, für die anderen weniger (und für manche bestimmt überhaupt nicht) lustig, ist aber (leider) undurchführbar, da sich in der Geschichte der ADL keine Chemiekatastrophe dieser Größenordnung finden läßt. Und damit ganz Erkrath im Atommüll versinkt, muß es schon ein verdammt großer Unglücksfall sein. Dann folgt automatisch die Frage, woher soviel Atommüll und Wasser auf einmal herkommen. Das Wasser mag ja vom Himmel gefallen und sich angesammelt haben, aber der Atommüll?
Kompliziert, neh? Hey, niemand hat behauptet, SR sei unkompliziert. Aber das ist doch der Reiz, oder? Wenn nicht, solltet ihr lieber Mau-Mau spielen.
Tatsächlich scheint mir das dritte Quellenbuch zu Deutschland in den Schatten besser durchdacht und auf jeden Fall weniger chaotisch als sein unseliger Vorgänger Chrom & Dioxin zu sein (das war tatsächlich ein Lob). Aber ich lehne es entschieden ab, wenn man versucht, nachträglich Dinge einzubauen, die durch die Geschichte im ersten Quellenbuch nicht gedeckt werden, weil es schlicht und ergreifend unglaubhaft wirkt.
Die ADL wird gerade dadurch so interessant, daß hier andere Zustände herrschen als in den UCAS. Wenn man diese Zustände einfach so (och, es könnte doch interessant sein) in die ADL importiert, ohne zu wissen, wie es dazu kam, wird das Ganze wird auf die Dauer uninteressant, weil der Unterschied zur UCAS immer kleiner wird und irgendwann ganz verschwindet. Das besondere Flair, daß vor allem mit dem ersten Buch zu Deutschland in den Schatten aufgebaut wurde, ginge verloren. Und davon einmal abgesehen wird die Freiheit des Spielleiters (oder Abenteuer-Autors) durch immer neue Versionen derselben Sache immer weiter eingeschränkt. Nicht umsonst gibt es bei den amerikanischen Autoren höchstens zwei Bücher über ein und dieselbe Angelegenheit. Man schreibt eine Vorlage und vielleicht ein Update (wie z.B. Target: UCAS) und überläßt dem Spielleiter alles weitere.
Die anderen Quellenbücher wie z.B. das London Sourcebook zeigen sich in der Frage der Polizei als rein staatlicher Institution viel unkomplizierter. Andere Länder, andere Sitten - das ist nun mal so und da könnt ihr heulen, schreien oder euch von mir aus auf den Kopf stellen, das alles wird daran nichts ändern. Wenn ihr um jeden Preis die bösen privaten Sicherheitskonzerne wollt, verlegt eure Runs in die UCAS. Außerdem ergibt sich mit den Sicherheitskonzernen als Nebenanbieter die interessante Variante, die Spieler sowohl gegen die Sicherheitsgoons als auch gegen die normale Polizei siehe H.J. Alpers : Das zerrissene Land) antreten zu lassen, aber diese Variante wäre ja was für richtige Schattenläufer. Indem die ADL den UCAS angeglichen wird, wird sie nicht interessanter. Eher das Gegenteil ist der Fall - sie wird zum Abziehbild.
Zum Schluß noch eine Bemerkung: Nehmt davon Abstand, eine zu dem Thema passende Vorgeschichte nachzureichen. Sie würde alles nur noch unglaubwürdiger machen.
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